Eurostar e320 – Velaro in England, Frankreich, Belgien und den Niederlanden

Eurostar e320 an der LGV Nord in der Nähe vom Gare TGV Haute Picardie. – 14.09.2016 © Andre Werske

Eurostar e320 an der LGV Nord in der Nähe vom Gare TGV Haute Picardie. – 14.09.2016 © Andre Werske

Eurostar e320 im Überblick

Insgesamt 17 Hochgeschwindigkeitszüge hat der Betreiber „Eurostar International“ bisher bei Siemens bestellt. Die „Eurostar e320“ basieren auf der Velaro-Plattform und sind für den internationalen Verkehr bestimmt. Die Inbetriebnahme erfolgt sukzessive seit Ende 2015.

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Eurostar International Ltd. bestellt bei Siemens

Am 7. Oktober 2010 kündigte Eurostar International an, rund 700 Millionen Pfund in ihre Hochgeschwindigkeitszug-Flotte zu investieren. Ein Teil des Geldes fließt in die Modernisierung der bestehenden Eurostar-Garnituren, die bereits seit dem 14. November 1994 im Einsatz sind. Die bekannte Design-Schmiede Pininfarina kümmert sich um ein neues, zeitgemäßes Redesign. Zudem wird ein Echtzeit-Reiseinformationssystem, ein drahtloser Internetzugang (Wi-Fi) und moderne Unterhaltungselektronik Einzug halten.[1]

Der Löwenanteil der Investitionen fließt jedoch in die Beschaffung neuer Züge. Überraschenderweise kehrte Eurostar International im Oktober 2010 dem französischen Haus- und Hoflieferant Alstom den Rücken und entschied sich für 10 Velaro-Hochgeschwindigkeitszüge aus dem Hause Siemens. Diese „Eurostar e320“-Garnituren sind für eine Höchstgeschwindigkeit von 320 Stundenkilometern ausgelegt und bieten im Vergleich zu ihren Vorgängern etwa 20 Prozent mehr Reisenden Platz. Für den Betreiber ist die „Interoperabilität“ der neuen Züge sehr wichtig, um von London aus möglichst viele Destinationen in Europa zu bedienen. Um einen ersten Eindruck von den neuen Eurostar-Zügen zu gewinnen, wurde im Londoner Kensington-Park für einen Tag ein Endwagen-Modell im Maßstab 1:1 postiert.[1]

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Proteste aus Frankreich

In den Wochen nach der Bekanntgabe, die nächste Eurostar-Generation bei Siemens statt bei Alstom zu bestellen, kochten in Frankreich die Gemüter hoch. Dort wollte man mit hanebüchenen Argumenten verhindern, dass die Velaro-Züge die Zulassung für den Verkehr durch den Eurotunnel erhielten: Die Siemens-Züge seien nicht lang genug und könnten etwa bei Feuer ein Sicherheitsrisiko darstellen. Vor der Vertragsunterzeichnung müssten außerdem zuerst die Sicherheitsbedingungen garantiert sein, deren Prüfung ungefähr zwei Jahre dauern würden. „Die Rettungsvorschriften sehen vor, dass Eurotunnel-Züge von vorne bis hinten zu durchlaufen sein müssen. Die modernen ICE, die ebenfalls von Siemens gebaut werden, sind aber in zwei Halbzüge unterteilt“[5] Nicht nur die französische Regierung und das dortige Verkehrsministerium waren echauffiert, auch Alstom leitete sogleich juristische Schritte gegen das Geschäft ein. Der TGV-Hersteller sah seine Rechte auf Gleichbehandlung, Transparenz und Nichtdiskriminierung verletzt.[4]

Natürlich kann Siemens die Eurotunnel-Sicherheitsauflagen problemlos erfüllen. Bei den Eurostar-e320-Zügen handelt es sich um 390 Meter lange Garnituren mit zwei Endwagen und 14 Mittelwagen. Außerdem: „Das Angebot von Siemens sei mit 98 von 100 möglichen Punkten besser gewesen als das von Alstom (mit 74 Punkten). Dem Alstom-Angebot habe es in allen Bereichen an der notwendigen Detaillierung gemangelt“[4] Der Vertrag zwischen Eurostar und Siemens wurde demnach erst am 3. Dezember 2010 unterzeichnet.[3] Aufgrund ihrer komplexen Technik kosten die 10 Velaro-Hochgeschwindigkeitszüge umgerechnet rund 600 Millionen Euro.[2]

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Herstellung und Testfahrten

Alle 10 Eurostar e320-Garnituren werden im deutschen Standort in Krefeld hergestellt. Doch Siemens hatte die Komplexität des Auftrags unterschätzt, insbesondere die verschiedenen Zulassungshürden in den jeweiligen Ländern. Außerdem blockierten Probleme mit den Velaro D den Workflow der Eurostar-Produktion.[6][7]

Von März bis Juni 2013 unternahm Siemens mit der ersten vollständigen Komposition auf dem Freigelände des Siemens-Prüfcenters in Wegberg-Wildenrath erste statische und dynamische Tests. Anschließend wurde sie nach Belgien gebracht, um Versuchsfahrten unter realen Bedingungen zu absolvieren(7). Ein Jahr später fanden auf französischem Terrain Zulassungsfahrten statt. Im Juni war beispielsweise die Eurostar-Einheit e320 4005/06 sowohl auf der Ligne à Grande Vitesse Est-européenne als auch auf herkömmlichen Strecken zu sehen.[8][9]

Anlässlich des zwanzigjährigen Eurostar-Betriebsjubiläums konnte sich auch die Presse erstmals ausführlich ein genaues Bild von der neuen Eurostar-Generation machen. Dazu war am 13. November 2014, am Vorabend des 20. Geburtstags, eine 16-teilige Komposition im Bahnhof London St. Pancras ausgestellt.[10]

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Künftige Einsatzgebiete

Noch 2013 war unklar, wie Eurostar die neuen Velaro-Hochgeschwindigkeitszüge einsetzen würde — zur Verstärkung der bestehenden Verbindungen zwischen London, Paris und Brüssel oder um neue Ziele zu erschließen. Dessen ungeachtet unternahm man Anstrengungen, um eine Zulassung für Großbritannien, Frankreich, Belgien und die Niederlande zu erhalten. Eine Deutschland-Zulassung war bis dato noch nicht vorgesehen[7]. Zum 20. Geburtstag wurde Deutschland (Frankfurt) als Eurostar-Destination (ab 2017/18) aufgeführt[10]. Bereits ab 2016 wollte die Deutsche Bahn mit dem Velaro D, also dem ICE 3 der Baureihe 407 Direktverbindungen zwischen Frankfurt und London anbieten – als direkte Konkurrenz. Eurostar nahm diese Tatsache positiv auf, „denn dadurch wird mehr Aufmerksamkeit für die Tatsache geschaffen, dass man mit einem Hochgeschwindigkeitszug durch den Tunnel fahren kann“[11]. Die ersten Eurostar e320 kamen jedenfalls ab 2016 auf der Relation London – Amsterdam zum Einsatz sowie zwischen London und Paris.[10].

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Streckennetz der Eurostar-, Thalys- und TGV-Züge


Interne Links zum Eurostar e320

Technische Daten:
Zug- / Baureihenbezeichnung:Eurostar e320 / Class 374
Einsatzland:Europa
Hersteller:Siemens
Herstellungskosten pro Zug:65 Mio. Euro
Anzahl der Züge:17 Züge
Anzahl der Züge im Detail:03.12.2010: 10 Züge
13.11.2014: 7 Züge
Zugtyp:Triebwagenzug
Anzahl der Endwagen:2 Endwagen
Anzahl der Mittelwagen:14 Mittelwagen
Anzahl der Sitzplätze 1. / 2. Klasse / Restaurant:218 / 672 / --- (890 insg.)
Sitzplätze im Detail:+ 2 Plätze für Rollstuhlfahrer
+ 2 Plätze für Begleitpersonen
+ 2 VIP-Plätze
Baujahre:2012–2017
Inbetriebnahme:12/2015
Spurweite:1435 mm
Stromsystem(e):25 kV AC
3 kV DC
1,5 kV DC
Zugleitsystem(e):ETCS, KVB, TVM, RPS, TBL, MEMOR, ATB
Technisch zugelassene Höchstgeschwindigkeit:320 km/h
Höchstgeschwindigkeit im Plandienst:320 km/h
Antriebsleistung des Zuges:16.000 kW ( 32 x 500 kW )
Bremssystem(e):regenerativ, rheostatisch, pneumatisch
Jakobsdrehgestelle:Nein
Neigetechnik:Nein
Anzahl der Achsen / davon angetrieben:64 / 32
Achsformel:2x (Bo’Bo’+2’2’+Bo’Bo’+2’2’+2’2’+Bo’Bo’+2’2’+Bo’Bo’)
Federung:Luftfederung
Achslast (maximal):17 t
Zuglänge:400 m

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Quellenangaben

  1. „Eurostar brings a train into Kensington Gardens, by the Albert Memorial to announce a £700 million investment programme in its fleet“, RealWire Social Media News Release, 07.10.2010.
  2. „Eurostar picks Velaro to expand fleet“, Railway Gazette International, News vom 01.10.2010.
  3. „Eurostar order still creating waves“, Today’s Railways Europe, 02/2011, S. 8.
  4. „Eurostar 320“, Deutschsprachige Wikipedia, abgerufen am 22.11.2014.
  5. „Frankreich stänkert gegen Siemens“, Spiegel Online, 14.10.2010.
  6. Daniela Kuhr, Caspar Busse: „Kanaltunnel-Zug Eurostar – Neue Schlappe für Siemens“, Süddeutsche Zeitung, 22.04.2013.
  7. „Neues vom Eurotunnel und Eurostar“, Eisenbahn-Revue International, 08–09/2013, S. 407.
  8. Rail Passion N° 202, August 2014, S. 4.
  9. Rail Passion N° 203, September 2014, S. 4, 14.
  10. Gernot Zielonka: „Eurostar feiert 20. Geburtstag und neuen Superzug“, Der Mobilitätsmanager, 21.10.2014.
  11. Video: „20 Jahre Eurostar“, Euronews, 13.11.2014.