Hochgeschwindigkeitszüge in Deutschland
Erste Rekordfahrten über 200 km/h
Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts unternahm man in Deutschland Versuchsfahrten, um die Eisenbahn zu beschleunigen. Zu den Lokomotiven, die sich dabei einen Namen gemacht hatten, zählten ein AEG-Triebwagen (1903: 210,2 km/h), der exotische Schienenzeppelin von Franz Kruckenberg (1931: 230,2 km/h) und die Dampflokomotive der Baureihe 05 (1936: 200,4 km/h). Hohe Durchschnittsgeschwindigkeiten von 120 km/h bis 130 km/h erreichten Dieselschnelltriebwagen wie beispielsweise der legendäre „Fliegende Hamburger“ und der Triebwagen der Bauart „Leipzig“. Im letzteren kletterte die Tachonadel im Jahr 1939 auf 205 km/h.[1][2]
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Einführung des ICE
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Deutsche Bundesbahn zuerst das Schienennetz zu reparieren. Auch Limitierungen seitens der Besatzungsmächte mussten akzeptiert werden. Der Fokus ruhte nun auf die Erhöhung des Komforts. Einen gewissen Erfolg erzielten die ab 1957 eingesetzten, siebenteiligen TEE-Dieseltriebzügen à la VT 11.5, von denen manche einen Gasturbinenantrieb erhielten und dann für 160 km/h zugelassen waren. Doch letztendlich setzten sich Elektrolokomotiven durch.[3]
Herausragende Laufleistungen erbrachten die Schnellfahrlokomotiven der Baureihe 103. Bereits die Vorserienloks der Reihe E 03 waren ab 1965 in der Lage, Intercitywagen mit bis zu 200 Stundenkilometern zu ziehen.[4] Als Baureihe 103.003 mit speziellen Fahrgestellen erreichte die Vorserienmaschine am 29. November 1988 sage und schreibe 291 km/h.[5] Die 145 Serienmaschinen waren bis zur Einführung des ICE die Paradepferde der Deutschen Bundesbahn. Erwähnenswert sind zudem die drei Triebwagen-Prototypen mit der Baureihenbezeichnung ET 403, die 1973 im Plandienst Einzug fanden. Sie hätten die ersten echten Hochgeschwindigkeitszüge werden sollen, doch leider bewährten sie sich nicht.[6]
Nach dem Scheitern des ET 403 setzten sich die Industrie und die Deutsche Bundesbahn gemeinsam an den runden Tisch und erarbeiteten einen Prototyp eines echten Hochgeschwindigkeitszuges. Basierend auf früheren Ergebnissen aus dem Rad/Schiene-Forschungsprogramm wurde ein „Super-IC“ für 350 km/h herausgearbeitet – auch „Rad/Schiene-Versuchs- und Demonstrationsfahrzeug“ genannt. Im Laufe der Entwicklung wurde der Name auf „InterCityExperimental“ abgeändert. Dieser Hochgeschwindigkeitszug bestand aus zwei Triebköpfen und drei Mittelwagen. Im März 1985 wurde der erste Triebkopf der Öffentlichkeit vorgestellt und noch im selben Jahr begann ein umfangreiches Testprogramm, das in einem grandiosen Höhepunkt gipfelte: Am 1. Mai 1988 stellte der InterCityExperimental bei Gemünden am Main mit 406,9 km/h einen neuen Weltrekord für Schienenfahrzeuge auf. Diese Bestmarke wurde bis heute von keinem Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitszug in Deutschland mehr erreicht. Die Erfahrungen mit dem InterCityExperimental flossen in die darauf folgenden Serienzüge der Baureihe 401 ein.[7]
Beginn des ICE-Zeitalters
Deutschland nahm erst am 2. Juni 1991 den kommerziellen schienengebundenen Hochgeschwindigkeitsverkehr mit 23 Intercityexpresszügen auf.[8] Die nach und nach auf 60 Garnituren dieser Serie aufgestockte Flotte kann Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 280 km/h erreichen. Das Kürzel „ICE“ steht dabei für „Intercityexpress“ und etablierte sich in den Köpfen der Bevölkerung zu einem Synonym für Komfort und Geschwindigkeit und zählt zu den bekanntesten Marken Deutschlands.[9] 1996 rollte die zweite Generation an. Dabei handelt es sich um Halbzüge, die auf Stammstrecken in Doppeltraktion fahren und auf schwächer ausgelasteten Strecken getrennt verkehren.
Vom ICE-Triebzug zum ICE-Triebwagenzug
Zum Jahrtausendwechsel vollzog sich ein kompletter Systemwandel.[10] Pünktlich zur Weltausstellung Expo 2000 stand die dritte, in vielen Bereichen neu entwickelte Generation von Hochgeschwindigkeitszügen bereit – zugelassen für Geschwindigkeiten bis 330 km/h.[11] Erst als 2002 die erste geeignete Schnellfahrstrecke zur Verfügung stand, konnte man fahrplanmäßig immerhin 300 Stundenkilometer erleben. Heutzutage rollen die ICE-Züge nach Österreich, in die Schweiz, nach Frankreich, Belgien und in die Niederlande. Der ICE 3 avancierte als „Velaro“ zum Exportschlager. Dessen Derivate sind in Spanien, China, Russland und in der Türkei anzutreffen. Selbst Eurostar kaufte bei Siemens Velaro-Hochgeschwindigkeitszüge.
ICE-Züge mit Neigetechnik
Für kurvenreiche Strecken abseits der Neubaustrecken ließ die DB die ICE-T (Oberleitungsbetrieb) sowie ICE-TD (dieselelektrischer Antrieb) entwerfen. Dank Neigetechnik sollten die 200 bzw. 230 km/h schnellen Triebwagenzüge auf konventionellen Strecken eine Steigerung der Reisegeschwindigkeit um bis zu 30 Prozent ermöglichen.[12] Doch die ICE-TD waren anfangs problembehaftet und nicht wirtschaftlich betreibbar. Bis auf zwei Garnituren wurden alle Diesel-ICE-Züge bereits verschrottet.[23][24]
Die Schwächen des ICE-Systems der Deutschen Bahn
Was sich bis hierher so gut angehört haben mag, zu einem Vorzeigesystem hat sich die schnelle Bahn in Deutschland leider beileibe nicht entwickelt. Finanzielle und politische Kräfte machen den ICE zur „Super-Regionalbahn“. Zu viele Zwischenhalte bzw. zu kurze Halteabstände drücken die Durchschnittsgeschwindigkeiten erheblich. Die wenigen und oft kurzen Schnellfahrstrecken sind verstreute Inseln, die nur über kurze Distanzen hohe Geschwindigkeiten erlauben.[13] 300 Stundenkilometer sind derzeit deutschlandweit lediglich auf 464 Kilometern möglich! Das erfolgreiche Intercity-Konzept namens „Taktfahrplan“ wurde immer mehr aufgeweicht, was oftmals lange Umsteigezeiten zur Folge hat.[14] Vor allem die Hochgeschwindigkeitszüge der neueren Generationen gerieten in der Vergangenheit in die Negativschlagzeilen: Probleme mit der Neigetechnik bei den ICE T(D) sowie jede Menge technische Mängel bei den ICE-Baureihen 403 und 406 hatten zum Unmut der Reisenden und zu einem schlechten Image der Bahn beigetragen.[15] Eine Rückwärtsentwicklung im Sachen Komfort zur Steigerung der Sitzplatzkapazität und damit des Profits ist ebenso feststellbar.[16][17] Und ja, der schwerste Unfall in der Geschichte der Hochgeschwindigkeitszüge bei Eschede, bei dem 101 Menschenleben zu beklagen sind, ist auch heute noch nicht ganz verblasst.[18][19]
Investitionen in neue Fahrzeuge und in die Infrastruktur
Die ICE-Züge der ersten beiden Generationen haben bereits das Ende ihrer Lebensdauer erreicht. Daher investiert die Deutsche Bahn Milliarden in die Beschaffung neuer Hochgeschwindigkeitszüge. Das Rückgrat bildet inzwischen die ICE-4-Flotte, deren Maximalgeschwindigkeit bei lediglich 250 bzw. 265 km/h liegt – mehr ist auch nicht nötig, denn meistens rollen die Superzüge sowieso über Alt- und Ausbaustrecken sowie Schnellfahrstrecken, auf denen maximal 250 km/h gefahren werden darf.[20] Darüber hinaus beschafft die Bahn bis 2030 neue ICE-Züge für 320 km/h; bisher wurden 90 ICE 3neo bei Siemens bestellt, und die ersten Garnituren rollen bereits seit Ende 2022 im Personenverkehr.[21] Mit Stand Juni 2024 verfügte die Deutsche Bahn über insgesamt 410 ICE-Züge.[26]
Die wenigen und kurzen Schnellfahrstrecken kosteten viel Geld. Doch das Bestandsnetz der Deutschen Bahn wurde über Jahrzehnte vernachlässigt und Kapazitätsreserven wurden wegrationalisiert, was seit Jahren immer unpünktlichere Züge zur Folge hat.[22] Parallel dazu fuhr die DB in den Jahren 2023 und 2024 Milliardenverluste ein.[25] Im Oktober 2025 war nur etwa jeder zweite Fernzug pünktlich – ein neuer trauriger Rekord.[27] „Mit einem Baustellenmarathon wollte die Bahn ihr Schienennetz bis 2030 zu einem ‚Hochleistungsnetz‘ machen – doch daraus wird nichts. […] Nun ist von 2035 die Rede.“[28] Auch sollte bis 2030 ein sogenannter bundesweiter Taktfahrplan nach Schweizer Vorbild realisiert werden. Doch der Deutschlandtakt wird wohl erst 2070 komplett umgesetzt sein.[29] So wird auch in den nächsten Jahren die Attraktivität vom Reisen mit Hochgeschwindigkeitszügen in Deutschland spürbar leiden.
Aérotrain – Frankreich
TGV 001 – Frankreich
TGV PSE – Frankreich, Schweiz
TGV Atlantique – Frankreich
AVE Serie 100 – Spanien, Frankreich
TGV Réseau – Frankreich, Belgien
Eurostar e300 – England, Frankreich, Belgien
Pendolino ETR 460 – Italien, Frankreich
Thalys PBA – Frankreich, Belgien, Niederlande
TGV Duplex – Frankreich, Belgien, Schweiz
Thalys PBKA – Frankreich, Belgien, Niederlande, Deutschland
Weitere ICE-Züge – Deutschland, Frankreich
ICE 3 (Baureihe 403, 406) – Deutschland, Belgien, Frankreich, Niederlande, Schweiz
TGV V150 – Frankreich
TGV Est / TGV POS – Frankreich, Deutschland, Schweiz
Automotrice Grande Vitesse – Frankreich
TGV Euroduplex – Frankreich, Schweiz, Deutschland, Luxemburg, Spanien
ICE 3 (Baureihe 407) – Deutschland, Frankreich
ETR 400 „Frecciarossa 1000“ – Italien, Frankreich, Spanien
Eurostar e320 – England, Frankreich, Belgien, Niederlande
TGV M – Frankreich
Quellenangaben
- Murray Hughes: „Die Hochgeschwindigkeitsstory – Eisenbahnen auf Rekordfahrten“, Alba Publikation AIF Teloeken GmbH + Co. KG, Düsseldorf, 1994, S. 12–16.
- „Die Baureihe 05: Die schnellste Dampflokomotive der Welt“, Eisenbahn-Kurier Online, 10/2015.
- Horst J. Obermayer: „Internationaler Schnellverkehr – Superzüge in Europa und Japan“, Franck-Kosmos Verlags-GmbH + Co., Stuttgart, 1994, S. 18–19.
- Murray Hughes: „Die Hochgeschwindigkeitsstory – Eisenbahnen auf Rekordfahrten“, Alba Publikation AIF Teloeken GmbH + Co. KG, Düsseldorf, 1994, S. 24.
- Michael Dostal: „Baureihe 103 – Die erste Schnellfahr-Elektrolokomotive der Deutschen Bundesbahn“, Geramond Verlag München, 2. Ausgabe 2002, S. 98.
- Zeno Pillmann: „Der Schnelltriebzug der Baureihe 403/404 der Deutschen Bundesbahn“, Eisenbahn-Revue International, 4/1999, S. 164.
- Horst J. Obermayer: „Internationaler Schnellverkehr – Superzüge in Europa und Japan“, Franck-Kosmos Verlags-GmbH + Co., Stuttgart, 1994, S. 28–31.
- „ICE“, Unternehmen Zukunft – Deutsche Bundesbahn<, Zentrale Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Friedrich-Ebert-Anlage 43-45, 6000 Frankfurt am Main, S. 43.
- Wikipedia: Intercity-Express, abgerufen am 07.10.2015
- Dipl.-Ing. Martin Steuger: „Velaro – kundenorientierte Weiterentwicklung eines Hochgeschwindigkeitszuges“, Sonderdruck ZEVrail, Jahrgang 133, Heft 10, Oktober 2009, S. 4.
- „ICE 3 im Testbetrieb“, Eisenbahn-Revue International, 9/1999, S. 377.
- „Auf dem Weg zum IC-Triebwagen ICT“, Eisenbahn-Revue International, 7–8/1998, S. 298.
- Sven Andersen, Dipl.-Ing.: „Quo vadis, Hochgeschwindigkeitsverkehr in Deutschland?“, Eisenbahn-Revue International, 11/2002, S. 525.
- Reinhard Hanstein, Dipl.-Betriebswirt: „Der ICE – ein Auslaufmodell?“, Eisenbahn-Revue International, 12/2013, S. 649.
- Axel Witzke: „ICE – Superzug mit Schattenseiten“, Bahn Extra, 4/2013, S. 74–80.
- „Künftiger weniger Beinfreiheit in neuen ICEs“, Yahoo Schlagzeilen, 05.08.2001.
- „Neubaustrecke Köln-Rhein / Main: Knapper ICE-3-Bestand ermöglicht nur ein bescheidenes Zugangebot“, Eisenbahn Magazin, 9/2001.
- „Der Katastrophe knapp entgangen“, Tagesschau.de, ARD<, 17.07.2008.
- „Notfalls ziehen wir einen Zug aus dem Verkehr“, Berliner Zeitung, Wirtschaft, 24.08.2012.
- Reinhard Hanstein, Dipl.-Betriebswirt: „Konsequent wirtschaftlich: der ICx im Vergleich mit dem ICE 1“, Eisenbahn-Revue International, 8–9/201, S. 376.
- „Milliardeninvestition: Deutsche Bahn kauft 73 neue ICE“, DB Pressemeldung, 17.05.2023.
- „Die Bahn kommt – aber oft zu spät“, Tagesschau.de, 22.12.2022.
- „Diesel-ICE: Ab Ende 2016 nicht mehr nach Dänemark“, Eisenbahn Magazin, Ausgabe 10/2015, S. 20.
- „Das schnellste Labor auf Schienen“, Deutschebahn.com, abgerufen am 28.09.2022.
- „Deutsche Bahn so unpünktlich wie nie zuvor“, Tagesschau.de, 27.03.2025
- „Frisch getaufter ICE „Waldecker Land“ bereit für EM-Einsatz“, Deutsche Bahn Pressemitteilung, 05.06.2024.
- „Bahn erreicht neues Tief bei Pünktlichkeit“, Tagesschau.de, 03.11.2025.
- „Zu viel auf einmal gewollt“, Tagesschau.de, 25.06.2025.
- „Deutschlandtakt erst 2070 komplett umgesetzt“, Tagesschau.de, 02.03.2023.





















