Hochgeschwindigkeitszüge in England / Großbritannien
England gilt als das Geburtsland der Eisenbahn. Die legendäre „Rocket“ von George Stephenson rollte ab 1830 zwischen Liverpool und Manchester und löste einen weltweiten Eisenbahn-Boom aus. Doch mit dem Aufkommen des Individual- und Flugverkehrs kam die Eisenbahn in England, Wales und Schottland immer mehr ins Hintertreffen. In den 60er Jahren wurde das Dampfzeitalter durch Diesellokomotiven beendet. Kurvenreiche Streckenführungen erlaubten keine hohen Geschwindigkeiten und damit kurze Reisezeiten. Die Beliebtheit der Eisenbahn bei der Bevölkerung sank immer mehr. Unter dem Begriff „Beeching Axe“ fand ein Kahlschlag im Streckennetz statt, um die Eisenbahn wieder in die Rentabilitätszone zu katapultieren, was allerdings nicht so recht gelang.
In den Siebzigerjahren bildeten sich zwei Lager von Ingenieuren, um der Eisenbahn in Großbritannien wieder Auftrieb zu geben. Die eine Gruppe entwickelte den sogenannten „High Speed Train“ (Class 43) – einen dieselbetriebenen Hochgeschwindigkeitszug für 200 km/h, respektive 125 mph. Die andere Gruppe experimentierte mit der Neigetechnik, um auf kurvenreichen Hauptstrecken kürzere Fahrzeiten erzielen zu können. Heraus kam der „Advanced Passenger Train“ – als brennstoffbetriebenen Experimentalzug (APT-E) und später als Prototyp mit elektrischem Antrieb (APT-P). Doch dem APT war kein Glück beschieden und der weniger komplexe High Speed Train setzte sich durch. Das Image der British Rail(ways) wurde zudem durch eine großangelegte Werbecampagne mit dem Slogan „This is the Age of the Train“ aufgewertet. Für elektrifizierte Strecken steckte man den mit dem APT gewonnenen Erfahrungsschatz in bis zu 225 km/h schnelle Elektrolokomotiven der Baureihe 91, die zwischen 1988 und 1991 abgeliefert wurden. Sie sind auch als „Electra“ bekannt und rollen mit Mark-4-Wagen am Haken als „InterCity 225“.
Obwohl die Eisenbahn in Großbritannien über Jahrzehnte hinweg kaum politische Rückendeckung hatte, gelang die Realisierung einer Eisenbahnverbindung unter dem Ärmelkanal. 1994 wurde der Eurotunnel eröffnet, doch für die 300 km/h schnellen Eurostarzüge war auf englischem Boden bei 160 km/h schluss. Das änderte sich erst 2003 mit der Eröffnung des ersten Abschnittes der ersten Schnellfahrstrecke auf britischem Boden. 2007 wurde die Neubaustrecke bis London verlängert.
Zwischen 1994 und 1997 wurde die staatliche British Railways privatisiert, um unter anderem die Rentabilität und die Zuverlässigkeit zu steigern. Eine Vielzahl von Franchise-Unternehmen übernahmen das Rollmaterial und teilten sich den Betrieb der Strecken unter sich auf. Neue Hochgeschwindigkeitszüge mit und ohne Neigetechnik wurden nach und nach von renommierten Herstellern eingekauft. Das für den Streckenerhalt zuständige Unternehmen versäumte allerdings aus monetären Gründen die Modernisierung. Es kam zu verschiedenen verheerenden Zugunglücken, die der Reputation der Eisenbahn nachhaltig schadeten. In den letzten Jahren, vor allem jedoch ab 2005, wurden jedoch wieder vermehrt Mittel für die Modernierung der Streckennetze und der Fahrzeuge bereitgestellt. Die neuesten Generationen von Superzügen basieren auf japanischer Shinkansen-Technologie und lassen hoffen, dass sich das Klima weiter zugunsten der Eisenbahn verbessern wird.
Eine zweite Schnellfahrstrecke ist seit 2009 in der Planung. Sie soll von London aus nach Birmingham führen, um westlich nach Manchester verlängert zu werden und östlich Sheffield und Leeds anzubinden. Politische Querelen und finanzielle Aspekte verzögerten allerdings bisher den Baubeginn. Doch 2017 soll der Spatenstich erfolgen, sodass vielleicht doch schon 2023 der erste Abschnitt zwischen London und Birmingham in Betrieb gehen kann.
Aktualisiert am: 15.05.2017Zugübersicht in chronologischer Reihenfolge der Betriebsaufnahme
Advanced Passenger Train
Bereits 1969 wurde ein Hochgeschwindigkeitszug mit Gasturbinenantrieb und Neigetechnik in Auftrag gegeben. Als Advanced Passenger Train Experimental (APT-E) erreichte der vierteilige Versuchszug am 10. August 1975 245 km/h. 1976 wurde er ausgemustert. Es folgte die Produktion von drei vierzehnteiligen elektrischen Prototypen (APT-P). 1978 verließ der erste Zug die Werkshallen. Bei Probefahrten erreichte er 257 km/h. Doch erst Ende 1981 nahm die erste Einheit den Plandienst auf. Einige technische Probleme und viel Pech beendeten bereits nach sechs Tagen (!) die Ära des APT. Bis 1986 fanden nur noch Testfahrten statt, bevor die Züge endgültig auf's Abstellgleis rollten.
High Speed Train (IC 125)
Als InterCity 125 begann der Plandienst der High Speed Trains (Class 43) 1976 auf der West Coast Main Line. Wegen des großen Erfolgs waren Nachbestellungen notwendig und das Einsatzgebiet erstreckte sich auf alle nicht-elektrifizierten Hauptstrecken Großbritanniens. Sie verkehren mit einer Höchstgeschwindigkeit von 200 Stundenkilometer. Bei einer Rekordfahrt wurden knapp 239 km/h erreicht, was ihnen den Titel der schnellsten Dieselzüge der Welt einbrachte. Im Rahmen des Intercity Express Programme werden die HST seit 2017 von modernen Hybrid-Hochgeschwindigkeitszügen auf das Abstellgleis befördert.
Eurostar e300
Für die Unterquerung des Ärmelkanals zwischen Frankreich und England wurde in Gemeinschaftsarbeit der Eurostar entwickelt. Diese 31 Hochgeschwindigkeitszüge sind technisch äußerst komplex, denn sie müssen die hohen Sicherheitsbestimmungen für die Eurotunnel-Durchfahrt erfüllen sowie mit den Strom- und Signalsystemen in Frankreich, Belgien und Großbritannien zurechtkommen. 1994 startete der kommerzielle Betrieb der ersten internationalen Hochgeschwindigkeitszüge Europas.
Class 220 (Voyager)
Bombardier Transportation fertigte in den Jahren 2000 und 2001 vierunddreißig dieselelektrische Hochgeschwindigkeitszüge für Virgin Trains an, um die betagten "InterCity 125" auf der Cross Country Route zwischen Cornwall und dem nordosten Schottlands abzulösen. Die vierteiligen Züge fahren unter dem Markennamen "Voyager" und erreichen 201 km/h. Sie sind deutlich zuverlässiger als die Züge der Class 180.
Class 180 (Adelante)
Alstom fertigte in den Jahren 2000 und 2001 insgesamt 14 fünfteilige Züge der Baureihe 180, die zur Coradia-1000-Familie gehören und den Markennamen "Adelante" bekamen. Angel Trains in Großbritannien verleiht sie an die entsprechenden Betreiber wie First Great Western oder FirstGroup. Mit 201 km/h Höchstgeschwindigkeit sind die diesel-hydraulisch angetriebenen Züge allerdings nicht besonders schnell. Erhebliche technische Mängel sorgten immer wieder für erheblichen Verdruss. Daher wurden die Züge der "Class 180" im Jahr 2012 überholt.
Class 221 (Super Voyager)
Die 44 dieselelektrischen Hochgeschwindigkeitszüge der Serie 221 mit Neigetechnik sind bis zu 200 km/h schnell und werden von Virgin Trains und CrossCountry betrieben. Sie ersetzen die High Speed Trains der Baureihe 43 zwischen England, Schottland und Nord Wales.
Class 390 (Pendolino)
Jahrzehnte nach dem letzten Neigezug beschleunigt der Pendolino von Alstom den IC-Verkehr auf der kurvenreichen West Coast Main Line.
Class 222 (Meridian)
27 dieselelektrische Hochgeschwindigkeitszüge stellte Bombardier in Belgien für den Einsatz in Großbritannien her. Ab 2004 wurden sukzessive die vier-, fünf- bzw. siebenteiligen Garnituren in den Fahrplan integriert.
Class 395 (Javelin)
Für die Japaner war es bisher nicht einfach, mit ihren Hochgeschwindigkeitszügen in Europa Fuß zu fassen. Mit der Baureihe 395 rollen seit dem 9. Juni 2009 die ersten japanischen Hochgeschwindigkeitszüge vornehmlich auf der Schnellfahrstrecke "High Speed One" von London nach Ashford.
Eurostar e320
Insgesamt 17 Hochgeschwindigkeitszüge hat der Betreiber "Eurostar International" bisher bei Siemens bestellt. Die "Eurostar e320" basieren auf der Velaro-Plattform und sind für den internationalen Verkehr bestimmt. Die Inbetriebnahme erfolgt sukzessive seit Ende 2015 auf den Relationen "London - Amsterdam" und "London - Paris".
Class 800 (Super Express)
Als "Class 800 Super Express" sollen insgesamt 59 Garnituren die veraltete Flotte der sogenannten "High Speed Trains", Class 125 ersetzen. Die Züge der Baureihe 800 sind Hybridfahrzeuge, die einerseits ihren Strom aus der Oberleitung beziehen können, andererseits auch auf nicht-elektrifizierten Strecken einsetzbar sind. Dort sorgen Dieselgeneratoren für den Antrieb. Die künftigen Einsatzgebiete sind die "Great Western Mainline" und die "East Coast Mainline".
Class 801 (Super Express)
Die Baureihe 801 wird eine ausschließlich elektrisch betriebene Variante der Baureihe 800 sein. 51 neunteilige sowie 12 fünfteilige Triebwagenzüge fertigt der japanische Hersteller Hitachi zwischen 2015 und 2017 in seiner lokalen Niederlassung in Newton Aycliffe.
Class 802 (AT 300)
Bei Hitachi sind seit 2015 bisher 60 Hochgeschwindigkeitszüge vom Typ AT 300 in Auftrag gegeben worden. Ab Dezember 2018 sollen die 225 km/h schnellen Garnituren als Class 802 vornehmlich auf der Great Western Main Line die alten High Speed Trains (Class 125) ersetzen. Die Class 802 kann sowohl auf elektrifizierten als auch oberleitungslosen Strecken eingesetzt werden.