Schnellfahrstrecken: Planung, Bau, Betrieb und Wartung
Nicht nur die Hochgeschwindigkeitszüge sind ausgefeilte Hightech-Produkte, sondern auch die Schnellfahrstrecken. Dabei handelt es sich in der Regel um Neubaustrecken (NBS), auf denen Züge mit 250 Stundenkilometern oder mehr fahren können. Nur in seltensten Fällen entstehen Schnellfahrstrecken durch einen umfangreichen Streckenausbau. Wie werden Hochgeschwindigkeitsstrecken realisiert? Worin liegen die Unterschiede zwischen Neubaustrecken und herkömmlichen Eisenbahnstrecken? Was macht den Bau von Schnellfahrstrecken so teuer? Diese Fragen werden im Folgenden kurz erörtert.
Wann ist eine neue Trasse für schnelle Züge notwendig?
Eine komplett neue Trasse macht erst Sinn, wenn die bestehende Strecke an ihre Kapazitätsgrenze kommt und ein Ausbau nicht möglich ist. Die Linienführung der meisten Bestandsstrecken stammt aus dem Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts.[1] In jener Zeit waren die meisten Züge noch wesentlich langsamer unterwegs als heute. Freilich hätte man vorausschauend möglichst gerade Trassierungen favorisieren können, doch traute man damals dem Rad-/Schiene-System kaum sehr hohe Geschwindigkeiten zu.[2] Um Baukosten zu sparen, wurde die Trasse den topografischen Gegebenheiten angepasst und möglichst auf Tunnel- und Brückenbauwerke verzichtet. Manchmal ist jedoch ein viergleisiger Ausbau bzw. eine Streckenbegradigung möglich. Dann macht eine sogenannte Ausbaustrecke für Höchstgeschwindigkeiten von 200 km/h Sinn. Ist ein Ausbau unmöglich, muss vor dem Bau einer Neubaustrecke noch hinterfragt werden, wie hoch der Fahrzeitgewinn wäre. Liegt er nur im Bereich weniger Minuten, dann lohnt sich keine NBS.[3]
Die Planung einer Schnellfahrstrecke
© 03.08.2004 André Werske
Steht der Bau einer Neubaustrecke für hohe Geschwindigkeiten fest, wird zuerst die Linienführung diskutiert. Selbstverständlich sollen möglichst wenig Kunstbauten erforderlich sein. Doch diese richten sich nach dem rollenden Material. Verkehren nur Hochgeschwindigkeitszüge, sind Steigungen und Gefälle von bis zu 40 Promille möglich.[4] Meist reichen Einschnitte und Dämme, um topografische Unebenheiten auszugleichen. Wird jedoch ein Mischverkehr von Personen- und Güterzügen gefordert, um die hohen Baukosten zu rechtfertigen, muss die Gleisanlage möglichst eben verlaufen. Auch dicht besiedelte Gebiete sind zu meiden, denn schnell hagelt es Klagen von Anwohnern. Gerichtsverfahren verzögern das Bauvorhaben – gerade in Deutschland – über Jahre.[5] Auch kann es schnell zu Kostenexplosionen kommen, weil aus Gründen des Lärmschutzes Tunnel gefordert werden, wo topografisch keine notwendig wären.[6][7]
Naturschutz wird bei der Bahn großgeschrieben. Daher ist man bemüht, Verkehrswege zu bündeln, um die Landschaft nicht zweimal zu zerschneiden. Schnellfahrstrecken werden möglichst in Autobahnnähe gebaut.[8] Seltene Tier- und Pflanzen werden, wenn möglich, umgesiedelt.[9] Wiederaufforstung und die Einrichtung von Biotopen sind weitere Maßnahmen, um die Bahn noch „grüner“ zu machen.[10] Abschließend hat man einen Richtwert, die teuer die neue Schnellfahrstrecke sein wird, was für die Finanzierungsfrage wichtig ist. Ist der Bau von öffentlichem Interesse[11], ist die Finanzierung seitens des Staates bzw. Landes oder durch Investoren gesichert, kann mit dem eigentlichen Bau begonnen werden.[12]
Bestandteile von Neubaustrecken und deren Bau
Startschuss bildet meist ein symbolischer „Spatenstich“.[13] Um eine moderne Hochgeschwindigkeitsstrecke herzustellen, ist jedoch kein Spaten, sondern präzises Werkzeug und Knowhow unabdingbar. Dutzende von LKW, Baggern und Ladern sind vonnöten, um Einschnitte und Dämme zu errichten. Durch Sprengungen oder mit Tunnelbohrmaschinen wird sich durch Berge gearbeitet. Problematisch sind weiche und wasserführende Gesteinsschichten.[14] Auch Grundwasser kann ein massives Problem darstellen.[15] Oder es treten so große Hohlräume auf, die den Bau von Brücken im Tunnel erfordern.[16] Sicherheit wird im Tunnelbau großgeschrieben – Fluchtstollen und Brandschutzanlagen gehören einfach dazu.[17] Am schnellsten geht eine offene Tunnelbauweise, wenn ein Trog einfach zugedeckt werden kann. Verschiedene Brückenbautechniken kommen zum Einsatz. Sind viele Viadukte erforderlich, lohnt es sich, die Fertigung der Brückenteile zu vereinheitlichen und zu automatisieren. Es ist ganz faszinierend zu sehen, wie beispielsweise in China die Brückenteile sind Rekordzeit montiert werden.[18]
Nun ist der Gleisbau an der Reihe. In vielen Ländern, wie beispielsweise in Frankreich – wird ein Schotteroberbau bevorzugt, die den Schwellen und Schienen Halt geben, die auftretenden Kräfte jedoch gut an den Untergrund weiterleiten können. Doch dieser ist Wartungsintensiv, weil die Vibrationen der Züge die Schottersteine mit der Zeit zermahlen.[19] In Deutschland, Taiwan und Japan wird für Neubaustrecken gerne die „Feste Fahrbahn“ favorisiert. Der Unterbau muss dazu noch präziser ausgeführt sein, damit er sich während des Zugbetriebs auch nicht nur ein bisschen senkt. Er trägt die Betonplatten, die auch die Schwellen für die Schienen beinhalten. Hier sind nur noch minimale Nachjustierungen möglich.[20] Der Vorteil einer Festen Fahrbahn ist der geringe und damit günstige Wartungsaufwand. Es müssen im Idealfall nur die abgefahrenen Schienenstränge getauscht werden.[21] Die Betonfahrbahn ist für eine Lebensdauer von mindestens 60 Jahren ausgelegt.[22] Um Gleiswechsel zu ermöglichen – zum Beispiel bei Überholungsbahnhöfen oder Überleitstellen – sind Weichen erforderlich. Diese sind so konstruiert, dass die Lücke zwischen der geraden und abzweigenden Schienenstränge mit einem beweglichen Herzstück motorisch geschlossen werden kann. In Spanien haben manche Schnellfahrweichen 4 Motoren, um die Stellung des Herzstückes zu ändern und bis zu 8 Motoren, um die Weichenzunge zu stellen.[23]
Parallel zum Gleisbau wird die Oberleitung installiert. Unterwerke entlang der Strecke wandeln den Strom aus Starkstromleitungen in Bahnstrom um. Die Speiseleitung versorgt die Fahrleitung, die wiederum von Tragseilen mit Hängern verbunden ist. Die aufwendige Leitungskonstruktion wird auch Kettenwerk genannt, die mit Auslegern am Oberleitungsmasten gehalten wird. Abspannwerke sorgen dafür, dass die Fahrleitung strammgezogen wird und nicht durchhängt.[24]
Ein wichtiger Bestandteil der Gleisanlage sind Signale. Auf „alten“ Schnellfahrstrecken in Deutschland gibt es dort, wo Weichen zu decken sind, zwar noch Lichtsignale installiert; sie sind aber bei hohen Geschwindigkeiten nicht notwendig[25] – zu unsicher ist die Erkennbarkeit für den Triebfahrzeugführer bei schlechten Sichtverhältnissen. Die Signalzustände müssen elektronisch in den Führerstand übertragen werden. In Europa gibt es viele verschiedene Übertragungskonzepte, doch auf lange Sicht sollen alle durch das Europäische Zugsicherungssystem ETCS abgelöst werden.[26] Neuere Hochgeschwindigkeitsstrecken sind bereits damit ausgerüstet. Stellwerke und Zugleitstellen sind weitere Einrichtungen, um mehrere, dicht aufeinander folgende Züge auf Schnellfahrstrecken sicher zu führen.[27]
Die Schnellfahrstrecke im Betrieb
Bevor der Personenverkehr auf einer Neubaustrecke starten darf, muss die Trasse auf Herz und Nieren auf ihre Alltagstauglichkeit geprüft werden. Messzüge führen sogenannte Hochtastfahrten durch.[28] Die Oberleitung und die Gleisanlage werden mit Sensoren auf die Einhaltung von Normen geprüft. Die Messzüge (z. B. ICE-S, East i und IRIS 320) erhöhen dabei Schritt für Schritt die Höchstgeschwindigkeit. Dabei muss eine Höchstgeschwindigkeit erreicht werden, die 10 Prozent über der liegt, die im Alltag gefahrenen wird.[29] Auch die Zugleittechnik wird bei Zulassungsfahrten auf Herz und Nieren geprüft. Dann kommt der Tag X. Meist beim Fahrplanwechsel wird die neue Schnellfahrstrecke dem Personenverkehr übergeben. Damit so viele Züge wie möglich von ihr profitieren, wurde im Vorfeld der Fahrplan angepasst und Umsteigepunkte optimiert. Trotz sorgfältiger Tests ist man nicht vor anfänglichen Problemen gefeit.[30] Doch diese „Kinderkrankheiten“ sind schnell behoben und dem betrieblichen Erfolg steht nichts mehr im Wege. Damit das auch über Jahrzehnte so bleibt, sind regelmäßige Wartungsarbeiten nötig. In Japan beispielsweise finden diese nachts in einem Zeitfenster von nur 6 Stunden statt, wenn kein Betrieb ist.[31] In Deutschland dagegen hat man sich entschieden, für die großen Revisionen und Generalüberholungen die Streckenabschnitte über eine längere Zeit zu sperren. Die Hochgeschwindigkeitszüge nutzen während dieser Zeit die alten Strecken.[32]
Wer gerne mehr über die Schnellfahrstrecken, deren Bau und Betrieb wissen möchte, wird vielleicht bei den nachfolgenden Quellenangaben fündig, die dieser kurzen Erörterung zugrunde lagen. Abschließend sind noch ein paar Links zu Artikel zu finden, die die Herausforderungen des Schienenschnellverkehrs erläutert sowie die Eisenbahnen in Deutschland mit denen Frankreichs und Japans beleuchtet.
Quellenangaben
- Video: „Der Superzug, der zu spät kommt“, Deutsche Bahn, Doku, 1979, ab Min. 1.
- G. Freeman Allen: „Die schnellsten Züge der Welt“, Franckh’sche Verlagshandlung Stuttgart, 1980.
- „Ausbau hat keinen Sinn – Bahn sieht keine Alternative zur ICE-Neubaustrecke“, Mainpost, 23.07.1999.
- „Tempo 300: Die Neubaustrecke Köln – Frankfurt“, Eisenbahn Journal Special-Ausgabe 3/2002, S. 8.
- Video: „Der Superzug, der zu spät kommt“, Deutsche Bahn, Doku, 1979, ab Min. 17.
- „Tempo 300: Die Neubaustrecke Köln – Frankfurt“, Eisenbahn Journal Special-Ausgabe 3/2002, S. 68.
- Horst J. Obermayer: „Internationaler Schnellverkehr – Superzüge in Europa und Japan“, Franck-Kosmos Verlags-GmbH + Co., Stuttgart, 1994, S. 82-83.
- „Neubaustrecke Stuttgart – Ulm: Neubau einer autobahnnahen Trasse“, Deutsche Bahn Projektbau GmbH, 11.04.2005.
- „Artenschutz bei Stuttgart 21: Umsiedlung der Eidechsen“, Bezug, 04/2016, S. 18.
- „Inbetriebnahme des Neubaustreckenabschnitts Fulda – Würzburg“, Sonderdruck aus: Die Bundesbahn – Zeitschrift für aktuelle Verkehrsfragen, 05/1988.
- „Öffentliches Interesse“, Eisenbahn Magazin 09/1990, S. 3.
- „Brennpunkt Eurotunnel“, Focus Magazin, Nr. 17 (1993).
- „Bericht zum Ausbau der Schienenwege“, Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, 2005.
- „Wassereinbruch in den ICE-Siegauentunnel“, Generalanzeiger Bonn, 20.05.1999.
- Horst J. Obermayer: „Internationaler Schnellverkehr – Superzüge in Europa und Japan“, Franck-Kosmos Verlags-GmbH + Co., Stuttgart, 1994, S. 82-83.
- „Fiasko für neue ICE-Strecke: Riesige Hohlräume unter der Baustelle entdeckt“, Süddeutsche Zeitung, 07.07.2001.
- „Durch das Herz der Schweiz – Der Gotthard-Basistunnel“, Doku vom SWR, 2016.
- „How are mega bridges built for China’s high-speed railway”, Clip auf Youtube, abgerufen am 20.12.2022.
- „ICE ausgebremst“, Eisenbahn-Revue International, 6/1999, S. 226.
- „Köln – Frankfurt in einer Stunde“, Eisenbahn Magazin 12/2001, S. 21.
- „Hochgeschwindigkeitsstrecke Köln – Rhein/Main“, Eisenbahn-Revue International, 10/2002, S. 456.
- „Neubaustrecke Wendlingen – Ulm: Eine Fahrt über die Neubaustrecke“, DB Bahnprojekt Stuttgart – Ulm, 2022.
- Schnellfahrweichen in Spanien mit 12 Motoren, Google Maps, @41.526993,-0.1645431,59m
- „Unter Hochspannung“, Eisenbahn Magazin 2/2000, S. 28-32.
- Holger Metschulat, Philipp Zipf: „Dunkelschaltung auf NBS“, 05/2001.
- Univ.-Prof. Dr.-Ing. Jörn Pachl: „Zugbeeinflussungssysteme europäischer Bahnen“, ETR, H. 11 – November 2000, Hestra-Verlag Hamburg, S. 725-733.
- Horst J. Obermayer: „Internationaler Schnellverkehr – Superzüge in Europa und Japan“, Franck-Kosmos Verlags-GmbH + Co., Stuttgart, 1994, S. 67.
- „VDE 8.2 Erfurt – Leipzig/Halle (S): Neubaustrecke durch Mitteldeutschland“, Eisenbahn-Kurier, 11/2014, S. 44-48.
- „Fahrtechnische Zulassung für den ICE 2“, Eisenbahn-Revue International, 5/1996, S. 133.
- „Superschnellzug TGV auf neuer Strecke Stunden verspätet“, Yahoo Schlagzeilen, 14.06.2001.
- Dr. Helmut Petrovitsch: „Das Shinkansen-Hochgeschwindigkeits-Netz in Japan“, Eisenbahn-Revue International, 7/2002, S. 321.
- „Sanierung der Schnellfahrstrecke Mannheim – Stuttgart“, DB Kommunikation, Regionalbüro Stuttgart, Oktober 2019.