Eurotunnel unter dem Ärmelkanal für Eurostar und Le Shuttle

Tunnelbohrmaschine unter dem Ärmelkanal im Eurotunnel. – ca. 1989 © Wikipedia-Autor Tambo
Schematischer Querschnitt durch den Eurotunnel. –  © Wikipedia-Autor Tambo
Tunnelbohrmaschine zur Erinnerung an den Eurotunnelbau in Coquelles, Frankreich – August 2013 © Wikipedia-Autor Lionel Allorge

Planung des Eurotunnel

Seit 1802, als Napoleon zum ersten Mal ein solches Projekt vorschlug, hat es 27 Anläufe zur Untertunnelung des Ärmelkanals gegeben, aber erst Ende der Siebzigerjahre dieses Jahrhunderts war die Zeit dafür reif. Der Handel zwischen Großbritannien und seinen EG-Partnern nahm zu, doch die Kosten der Kanalüberquerung belasteten den Güterverkehr. Und so wurde 1985 mit Unterstützung der beteiligten Regierungen die Planung einer festen Ärmelkanalverbindung ausgeschrieben. Den Zuschlag bekam ein Entwurf, der drei getrennte Röhren vorsah: zwei 7,6 Meter breite Fahrtunnel für die Züge und dazwischen einen 4,8 Meter breiten Versorgungstunnel für Wartung, Belüftung, und Notevakuierung. Einen Autotunnel hatten die Planer aus Sorge vor Unfällen und unüberwindlichen Belüftungsproblemen von vornherein ausgeschlossen.

zum Anfang scrollen

Tunnelaushub

Zuerst musste die genaue Tunnelführung festgelegt werden. Die Ingenieure stießen in durchschnittlich 40 Meter Tiefe unter dem Meeresboden auf eine fast durchgehende Schicht Kalkmergel, ein nahezu wasserdichtes Gemisch aus Kalkstein und Ton. Das war für den Tunnel wie geschaffen. Die Tunnelröhren wurden von beiden Enden gleichzeitig vorgetrieben, in Sangatte und am Shakespeare Cliff bei Dover. Das größte Kopfzerbrechen bereitete den Ingenieuren die Logistik. Man musste sich etwas einfallen lassen, um sowohl Arbeiter als auch Material an den Tunnelkopf zu bringen und den Abraum hinauszubefördern. Elf Tunnelbohrmaschinen wurden eigens für diese Aufgabe konstruiert. Jedes dieser Mammutgeräte – das größte wog gut 1200 Tonnen und kostete fast 20,4 Millionen Euro – war eine 250 Meter lange „Tunnelfabrik“, die gleichzeitig Gestein abbauen, den Abraum über ein Förderband wegtransportieren, die Betonfertigteile einbauen und Schienen verlegen konnte. Der rotierende Bohrkopf war mit Zähnen aus Wolframkarbidstahl bewehrt, die sich mit 4,4 Metern pro Stunde durch den Kalkmergel fressen konnten. Ihm folgte ein Versorgungszug mit der Energieversorgungsanlage, dem für die Tunnelauskleidung benötigten Material, einem Aufenthaltsraum für Kaffeepausen und einer Erste-Hilfe-Station.

Die Ingenieure grasten die ganze Welt nach den modernsten Maschinen ab. Da der Kalkstein auf den ersten Kilometern vor der französischen Küste wasserdurchlässig war, wurden fünf Bohrmaschinen bei japanischen Firmen bestellt, die Erfahrungen mit Bohrungen in wasserfüllendem Gestein hatten. Die übrigen sechs wurden in Schottland und England gebaut. An jeder Maschine arbeiteten schichtweise rund um die Uhr bis zu 50 „Tunneltiger“. Sie waren die Elite unter den Tunnelbauern und verdienten bis zu 1500 Euro pro Woche. Am Tunnelkopf lagen die Temperaturen bei über 30 °C, die Luft war dick vom Kalkstaub und der Lärm ohrenbetäubend, wenn die mächtigen Hydraulikpressen den Schild in den Kalkmergel vortrieben. Man benötigte dort rund 1000 Arbeiter. Besonders gefährlich waren die Maschinenarme, die mit vorgefertigten, gebogenen Betonteilen die Tunnelwölbungen auskleideten. Sie können einen Menschen in einer Sekunde zu Tode quetschen, wenn er im falschen Moment an der falschen Stelle steht.

Ständig mussten die Arbeiter auch die Versorgungszüge im Auge behalten, die in den Tunneln hin und her pendelten. Vier von den zehn Männern, die bei dem Tunnelbau ums Leben kamen, wurden von Lokomotiven getötet. Während sich die britischen und französischen Tunnelbohrmaschinen langsam aufeinander zu bewegten, wurden sie von einem raffinierten Computerprogramm und mit Hilfe eines Laserstrahls gesteuert. Dank diesem hochmodernen Führungssystem wichen die drei Tunnelröhren an der Begegnungsstelle nur Zentimeter von der geplanten Linie ab. Ein Ingenieur verglich die Leistung wie folgt: „Man stelle sich vor, jemand hätte eine Angelschnur zum Mond geworfen und ihn in einem vorherbestimmten Kreis von drei Metern Durchmesser getroffen. So präzise wurde gearbeitet.“

In jeder Stunde transportierten Transportbänder bis zu 2400 Tonnen abgebautes Material zu den Güterzügen, die den Abraum aus den Tunnel beförderten. An beiden Enden des Tunnels legte man Dämme an; dafür nahm man Erde. Die entstandenen Löcher in der Landschaft wurden mit dem beim Tunnelbau herausbeförderten Kalkmergel wieder zugeschüttet.

Am 1. Dezember 1990 räumten Graham Fagg und Philippe Cozette mit Presslufthämmern die letzten paar Meter Kalkgestein ab, die den britischen und den französischen Teil des Versorgungsschachts noch voneinander trennten. Beim Durchbruch entstand im Tunnel ein pfeifender Wind, bis der Luftdruck ausgeglichen war. Während ein Heer von 12000 Arbeitern beiderseits des Kanals und unter ihm am Werk waren, bemühten sich Geldgeber und Organisatoren, das Überleben des Projektes zu sichern.

zum Anfang scrollen

Kosten des Tunnelbaus

Laut André Bénard, dem französischen Eurotunnel-Chef, ist es ein Wunder, dass der Tunnel überhaupt je fertig geworden ist. In den letzten sieben Jahren führten er und der Generaldirektor der Eurotunnel-Gruppe, Sir Alastair Morton, einen fast täglichen Kampf gegen Bauunternehmer, Bankiers und Politiker, um den Tunnelbau zu einem glücklichen Ende zu führen. Bénard und Morton hatten bei Anlegern und einem internationalen Konsortium von 220 Banken zunächst gut 6,4 Milliarden Euro aufgenommen, sahen sich aber bald mit immer neuen Kostensteigerungen konfrontiert. Änderungen der Baupläne und steigende Sicherheits-, Umweltschutz- und Baukosten zwangen Eurotunnel die Banken wieder und wieder um Geld anzugehen. Mehrere Male brachten Verteuerungen das Projekt um ein Haar zum Scheitern. Die Gesamtrechnung lag schließlich bei etwa 15 Milliarden Euro (doppelt so teuer wie ursprünglich geplant) und machte den Tunnel zum teuersten privatfinanzierten Bauprojekt der Welt.

zum Anfang scrollen

Le Shuttle

Während die Tunneltiger tief unter dem Ärmelkanal bohrten, bauten Tausende von Arbeitern in Frankreich und England an den riesigen Fracht- und Passagierbahnhöfen für die neue Verkehrsverbindung. Der französische Bahnhof in Coquelles bei Calais ist mit 700 Hektar die größte und eleganteste Verkehrsdrehscheibe Europas. Auf einer freitragenden Straßenbrücke fahren die Reisenden mit ihren Autos über einen künstlichen See in den Komplex ein. Der britische Bahnhof in Cheriton bei Folkestone ist nur ein Fünftel so groß und zieht sich neben der Autobahn M 20 entlang. Die Bahnhöfe sind die Umschlagstationen für „Le Shuttle“, auf dessen geschlossenem Schienensystem Personen und Lastwagen auf eigens dafür konstruierten Waggons durch den Tunnel transportiert werden. Die Reisenden erledigen auf der jeweiligen Eingangsseite des Tunnels sowohl die französischen wie die englischen Pass- und Zollformalitäten, fahren ihre Wagen auf „Le Shuttle“, unterqueren den Kanal und reisen auf der anderen Seite direkt auf den Autobahnzubringern weiter. Jeder Zug befördert bis zu 120 Personenwagen und zwölf Busse. Während der Tunnelfahrt können die Fahrgäste in ihren Autos oder Bussen sitzen bleiben oder aber in den Waggons umhergehen. Die Waggons haben zwar Fenster, doch da der Tunnel in der Regel nicht beleuchtet ist, gibt es nicht viel zu sehen. Dafür wird in jedem Wagen auf einem Display angezeigt, wo sich der Zug gerade befindet und wann er ankommt.

zum Anfang scrollen

Sicherheit im Eurotunnel

Wie sicher ist der Kanaltunnel? Bei einer Tiefe von durchschnittlich 45 Metern unter dem Meeresboden ist nicht zu befürchten, dass die See hereinbricht. Und Bombenanschläge? Selbst die stärkste Explosion könnte den Tunnelwänden nichts anhaben, da die Druckwelle sich auf dem Weg des geringsten Widerstandes durch den Tunnel ausbreiten würde. Die Waggons sind aus feuerfestem Material, und sollte ein Brand nicht durch die eingebauten Löschsysteme erstickt werden, so könnten die Fahrgäste sich immer noch in den Versorgungsschacht retten. Jeder Zug hat vorn und hinten je eine Lokomotive. Fällt eine aus, bringt die andere den Zug trotzdem noch durch den Tunnel. Außer „Le Shuttle“ werden auch Personen- und Güterzüge den Kanaltunnel ständig benutzen.

zum Anfang scrollen

Reisezeit und Einstellungen gegenüber dem Eurotunnel

Die Reisezeit von Paris nach London liegt zurzeit bei 2 Stunden 45 Minuten. Diese wird sich am Ende sogar auf zwei Stunden und 25 Minuten verkürzen. Aber das ist Zukunftsmusik, denn auf britischer Seite ist die Neubaustrecke noch nicht komplett fertiggestellt. Großbritanniens später Baubeginn der Schnellstrecke ist charakteristisch für die zwiespältige, feindselige Haltung des Landes zu dem Tunnel. Es ist nicht zu leugnen, dass viele Engländer dem Anschluss an den Kontinent noch immer misstrauisch gegenüberstehen. So viele Leute haben eingewandt, durch den Tunnel könne die Tollwut nach Großbritannien eingeschleppt werden, dass die Erbauer auf beiden Seiten Wildzäune und Elektrosperren zu bauen hatten, obwohl in den letzten drei Jahren in Frankreich nur ein Mensch an Tollwut gestorben ist und der wurde in Mexiko gebissen. In Frankreich sah die Sache ganz anders aus. Obwohl Ratsschreiber Michel Niemann vom Bürgermeisteramt von Coquelles viel Land an die Eurotunnel-Gesellschaft abtreten musste, spricht er für viele Franzosen, wenn er sagt: „Wir sehen den Tunnel als eine Chance, nicht als etwas, wovor man Angst haben muss.“ Von den 637.000 Eurotunnel-Aktionären sind schließlich auch drei Viertel Franzosen.

zum Anfang scrollen

Streckennetz der Eurostar-, Thalys- und TGV-Züge


zum Anfang scrollen

Finanzielle Probleme

Die Eurotunnel-Betreibergesellschaft ist mit 9,4 Milliarden Euro (Stand: 2003) hoch verschuldet. Problematisch ist auch, dass immer weniger Reisende vom und nach England den Eurostar-Hochgeschwindigkeitszug nehmen. Im dritten Quartal 2002 betrug beispielsweise der Umsatz noch 224 Millionen Euro. 2003 waren es dagegen nur 210 Millionen Euro. Damit konnten die Schulden nur um 63 Millionen Euro abgebaut werden. Verständlicherweise sind die Aktionäre der Eurotunnel-Gesellschaft sehr verärgert, da die Aktie sehr schlecht notiert wird. Ende Oktober 2003 haben die unzufriedenen Aktionäre vor dem Pariser Handelsgericht eine einstweilige Verfügung beantragt, mit der sie die Absetzung des Vorstands erreichen wollen. Der Anwalt Nicolas Lecoq Vallon reichte einen Antrag ein, mit dem der Vorstand zur Einberufung einer außerordentlichen Aktionärsversammlung gezwungen werden soll, um dann die Abberufung des Vorstands zu beantragen. Bislang hatte die Unternehmensleitung unter dem Briten Richard Shirrefs alle Vorstöße der Kleinaktionäre zurückgewiesen.
Die Kleinaktionäre der Eurotunnel-Gesellschaft hatten am 3. Dezember 2003 eine Hauptversammlung durchgesetzt, auf der sie die Absetzung des Konzernvorstands erreichen wollten. Nach Angaben der Eurotunnel-Anwälte sollte die Versammlung zwischen dem 7. und dem 15. April 2004 abgehalten werden.

Zu den finanziellen Problemen haben auch Billigflieger und die Fähren beigetragen. Die Einnahmen aus dem Shuttleverkehr sanken insgesamt um 11 Prozent. Asylsuchende beeinträchtigten 2002 ebenso den Güterzugbetrieb, der sich aber im Laufe des Jahres 2003 wieder erholte. Für weiteren Aufwind sorgt der Ende 2003 eröffnete Channel Tunnel Rail Link (CTRL). Im letzten Quartal 2003 benutzten 1,69 Millionen Reisende den Eurostar. Im gleichen Zeitraum im Jahr 2002 waren dagegen lediglich 1,47 Millionen Reisende zu verbuchen. Die Einnahmen waren mit 142 Millionen Euro rund 11 Prozent höher. Durch den CTRL verbesserte sich auch die Pünktlichkeit und damit die Hoffnung, weitere Fahrgäste zu gewinnen.

Von Februar 2006 an liefen Verhandlungen über eine dritte Umschuldung von Eurotunnel. Am 13.07.2006 stellte Eurotunnel-Chef Jacques Gounon bei einem Gericht in Paris nun den Konkursantrag, um den Betrieb des Kanaltunnels bis auf weiteres aufrecht erhalten zu können. Das insolvente Unternehmen darf zunächst weiterarbeiten, ohne durch die Forderungen der Gläubiger daran gehindert zu werden. Für Eurotunnel bringt der Schritt eine Atempause von sechs Monaten.

zum Anfang scrollen

Fakten zum Eurotunnel in Stichpunkten

Eckdaten des Eurotunnel

zum Anfang scrollen

Betrieb des Eurotunnel

zum Anfang scrollen

Leistungen beim Tunnelbau

zum Anfang scrollen

Sicherheitsmaßnahmen im Eurotunnel

zum Anfang scrollen