Hochgeschwindigkeitszüge in Italien
Eigentlich wollte Italien eine Vorreiterrolle im internationalen Schienenschnellverkehr spielen. Bereits 1914 begannen die Bauarbeiten für eine Schnellbahntrasse zwischen Rom und Neapel. Die Italiener nannten sie "Direttissima", was "sehr direkt" bedeutet. Diese Neubaustrecke ging 1927 in Betrieb. Doch die Entwicklung geeigneter Züge hinkte weit hinterher. Nur achtzehn 160 km/h schnelle elektrische Triebwagenzüge (ETR 200) waren ab 1937 das Beste, was die Italienische Staatsbahn Ferrovie dello Stato (FS) zu bieten hatte. Der Zweite Weltkrieg machte allerdings alle weiteren Pläne für schnelle Schienenverbindungen für längere Zeit zunichte.
Mit der Einführung des japanischen Shinkansen im Jahr 1964 roch auch die Italienische Staatsbahn wieder Lunte und trieb Planungen für eine neue Direttissima von Rom nach Florenz voran. Doch das Prestigeprojekt verschlang viel Geld, weswegen sich der Bau der 240 Kilometer langen Schnellfahrstrecke von 1970 bis 1991 hinzog. Derweil hatte man genug Zeit, sich Gedanken um die Fahrzeuge zu machen. Einerseits sagten bewährte, lokbespannte Züge der Baureihe 444 bzw. 447 zu, die ab 1970 bis zu 200 km/h erreichen konnten. Andererseits wollte man auch auf bestehenden, kurvenreichen Strecken ohne viel finanziellen Aufwand schneller werden. 1976 präsentierte der Hersteller Fiat Ferroviaria den Prototypen ETR 401, einen Triebwagenzug mit aktiver Neigetechnik. Nach einem erfolgreichen Versuchsprogramm wurde er bis zum Jahrtausendwechsel im Personenverkehr eingesetzt. Die ersten Serienzüge mit Neigetechnik ließen jedoch noch bis 1988 auf sich warten, da sie erst 1984 bestellt wurden. Dabei handelt es sich um die bereits zweite Pendolino-Generation mit der Bezeichnung ETR 450, von denen allerdings nur 15 Garnituren die Werkshallen verließen.
Um lokbespannte Züge abzulösen und den Fortschritten beim Bau neuer Schnellfahrstrecken zu begegnen machten sich italienische Waggon- und Lokomotivbauer daran, einen reinrassigen Hochgeschwindigkeitszug zu entwickeln. Die Erfahrungen, die man im Pendolino-Programm gesammelt hatte, wirkten sich positiv aus. 1984 startete die Konstruktion zweier Prototypen, des ETR X500 und ETR Y500, die 1988 ausführlich getestet wurden. 1990 bestellte die FS 30 Serienzüge vom Typ ETR 500.
Quasi parallel dazu schloss sich die Beschaffung einer neuen, dritten Pendolino-Generation an: Der ETR 460 mit verbesserter Neigetechnik und moderner Elektronik wurde zu einem internationalen Bestseller. Von dieser Baureihe leiten sich die ETR 470 für die damalige Cisalpino AG, die ETR 480 und 485 ab, sowie die Baureihe 490 für die spanische Staatsbahn, die finnischen Pendolino Sm3, die portugiesische Baureihe 4000, die slowenische Serie 310 und die tschechische Baureihe 680.
Inzwischen lief ein groß angelegtes Aus- und Neubauprogramm des Schienennetzes an. Man spricht von dem „großen T“ und meint ein künftiges Schnellfahrstreckennetz zwischen Turin und Venedig via Mailand sowie zwischen Mailand, Rom und Neapel. Das Projekt ist bereits weit fortgeschritten, weswegen weitere Hochgeschwindigkeitszüge notwendig und 1996 bestellt wurden. Zur Verbesserung der Energieversorgung handelt es sich um Mehrsystemzüge vom Typ ETR 500P. 2008 rollte die vierte Pendolino-Generation aus den Werken von Alstom, der zuvor Fiat Ferroviaria übernommen hatte. Ein neues Design und technische Verbesserungen zeichnen die ETR 600 und ETR 610 aus. Polen kaufte diese Variante als ED250 ein.
Mit der Liberalisierung des europäischen Eisenbahnnetzes trat 2012 ein Mitbewerber in den italienischen Hochgeschwindigkeitssektor. Die private Eisenbahngesellschaft „Nuovo Trasporto Viaggiatori“ (NTV) kaufte sich bei Alstom 25 Ultra-Hochgeschwindigkeitszüge vom Typ AGV und machte der FS mit seinen ETR-500-Zügen Konkurrenz. 2015 gab NTV bekannt, eine neue Pendolino-Version für Einsätze auf konventionellen Strecken bestellt zu haben. Es bleibt abzuwarten, wie sich der harte Wettbewerb um die Fahrgäste auf den künftigen Hochgeschwindigkeitsverkehr in Italien auswirken wird.
Aktualisiert am: 25.04.2016Zugübersicht in chronologischer Reihenfolge der Betriebsaufnahme
Pendolino ETR 401
Der Elettro Treno Rapido (ETR) 401 ist der Ur-Pendolino. Anfang der 70er Jahre wurde nur dieser eine vierteilige Hochgeschwindigkeitszug gebaut. Auf Test- und Demonstrationsfahrten erreichte er Geschwindigkeiten bis 260 km/h. Er legte die Grundlage für die Serienfahrzeuge vom Typ ETR 450.
Pendolino ETR 450
Italiens fünfzehn erste Hochgeschwindigkeitszüge. Dank ihrer aktiven Neigetechnik erzielen sie besonders auf kurvenreichen Strecken kurze Fahrzeiten. Das äußere Design war schon beim Erscheinen des Zuges nicht mehr zeitgemäß. Zuerst nur mit Erstklass-Sitzplätzen ausgestattet, erfolgte später ein Umbau in gemischtklassige Garnituren.
Pendolino ETR 460
Die 10 Züge der Serien ETR 460 bzw. ETR 463 sind Fahrzeuge der zweiten Pendolino-Generation. Eine deutlich verbesserte, komplett unterflur angeordnete Neigetechnik erlaubt mehr Raum für Reisende. Über den Zug verteilt angeordnete Drehstrom-Asynchronmotoren sorgen für eine höhere Antriebsleistung als die Vorgängergeneration. Drei der 10 Pendolini sind Zweisystemfahrzeuge für den Einsatz nach Frankreich, der zwischen 1996 und 2003 erfolgte. Sie haben nach dem Frankreicheinsatz die Baureihennummer ETR 463 bekommen und fahren nun wie die übrigen 7 Einsystemfahrzeuge ausschließlich in Italien.
Pendolino ETR 470
Aufgrund des Namens der Betreibergesellschaft waren die neun Züge unter der Bezeichnung „Cisalpino“ bekannt. Das Einsatzgebiet erstreckte sich von Norditalien durch die Schweiz bis nach Deutschland. Leider bereiteten die 200 km/h schnellen Neigezüge derart viele Probleme, dass sie aus dem deutschen Streckennetz verbannt wurden. Ende 2009 wurde die operative Tätigkeit von Cisalpino eingestellt.
ETR 500 Monotensione
Italiens reinrassige Hochgeschwindigkeitszüge, ähnlich dem ICE 1. Ohne Neigetechnik ist er vor allem auf die Direttissimas angewiesen, auf denen die ETR 500 bis 300 km/h schnell fahren können. Die erste Lieferung umfasste 30 Einsystemzüge.
Pendolino ETR 480
Die Auslieferung der fünfzehn Neigezüge begann 1997. Auf der Eurailspeed '98 konnte er von der internationalen Öffentlichkeit besichtigt werden. Vorerst für alte Strecken bestimmt, sind sie für 25 kV 50 Hz Wechselstrom vorbereitet, um auf künftigen Schnellstrecken fahren zu können. Die ETR 480 sind die neuesten Pendolino-Triebzüge.
ETR 500 Politensione
Die zweite Serie von 30 ETR 500 II Zweisystemzügen mit modifizierter Nase und Änderungen im Fahrgastbereich sind vor allem für die neuen Hochgeschwindigkeitsstrecken ausgerichtet.
Pendolino ETR 600
Im Februar 2004 bestellten sowohl TrenItalia als auch Cisalpino AG Pendolino-Neigezüge der 4. Generation. Neben einer Erhöhung des Komforts und der Sicherheit erfüllen diese Baureihen die TSI-Norm.
Pendolino ETR 610
Im Februar 2004 bestellten sowohl TrenItalia als auch die ehemalige Cisalpino AG Pendolino-Neigezüge der vierten Generation. Neben einer Erhöhung des Komforts und der Sicherheit erfüllen diese Baureihen die TSI-Norm. 12 Garnituren sind für Verkehre innerhalb Italiens vorgesehen gewesen, 14 Züge für den internationalen Einsatz in Italien und der Schweiz. Im Sommer 2012 kam es zu einer Nachbestellung von weiteren 8 Pendolini für den Betrieb in der Schweiz.
.italo AGV
Die private italienische Eisenbahngesellschaft NTV bestellte 2008 beim TGV-Hersteller Alstom in Frankreich 25 Hochgeschwindigkeitszüge vom Typ AGV. Im April 2012 begann der kommerzielle Betrieb mit den ersten Garnituren. Zwar sind die .italo AGV für 360 km/h ausgelegt, sie dürfen die ialienischen Schnellfahrstrecken derzeit allerdings nur mit 300 Stundenkilometer befahren. Sie sind eine direkte Konkurrenz zur Eurostar-Italia-Flotte der italienischen Staatsbahn FS.
V250 / ETR 700
Die High Speed Alliance und die SNCB bestellten 2004 beim italienischen Hersteller AnsaldoBreda 19 Hochgeschwindigkeitszüge vom Typ V250. Nach jahrelangen Lieferverzögerungen verbanden die ersten Züge ab Dezember 2012 die Städte Brüssel und Breda mit Amsterdam. Häufige technische Probleme im Plandienst zwangen nach nur 37 Betriebtagen zur Ausrangierung der bereits gelieferten Garnituren. 2017 kaufte Trenitalia 17 Einheiten, die ab Sommer 2018 südlich von Rom verkehren sollen.
ETR 400
Trenitalia unterzeichnete mit Bombardier und AnsaldoBreda einen Vertrag zur Lieferung von 50 Hochgeschwindigkeitszügen auf Basis der ZEFIRO-Plattform. Die ETR 400 sind für 400 km/h ausgelegt und damit die schnellsten Züge in Europa. Seit Juni 2015 verkehren sie als Frecciarossa 1000 vornehmlich auf den Schnellfahrstrecken zwischen Torino/Milano und Napoli/Salerno.
EC250 Giruno
Insgesamt 29 niederflurige Hochgeschwindigkeitszüge werden von Stadler Rail im schweizerischen Bussnang hergestellt. Ab 2019 sollen die ersten, 250 km/h schnellen Triebwagenzüge von Deutschland über die Schweiz und durch den Gotthard Basistunnel nach Italien fahren. Auch Österreich soll vom EC250 "Giruno" profitieren.